von Regionalbischof Dr. Hans Christian Brandy (Stade)
„Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ (Johannes 6, 37)
Ein gedeckter Tisch, Kerzen brennen, es duftet aus der Küche, die Tür ist einladend geöffnet. Vor meinem inneren Auge entsteht dieses Bild, wenn ich die
Losung für das Jahr 2022 lese. Die Worte Jesu rufen in mir Erlebnisse von Gastfreundschaft wach. Ich werde empfangen, bewirtet, darf Gast sein.
„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ Jesus sagt diese Worte, nachdem er am Tag zuvor mit zwei Fischen und fünf Broten viele Menschen gesättigt hat. Wir kennen diese Geschichte als die Speisung der Fünftausend. Menschen haben bei Jesus Gastfreundschaft und Fülle erlebt. Im Johannesevangelium öffnet Jesus diese Geschichte in eine ganz weite Perspektive: Was ist Nahrung, was ist Grundlage für Euer Leben? Wo wird Euer Lebenshunger gestillt? fragt er. Seine Zusage, die zugleich eine Einladung zum Glauben ist: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer an mich glaubt, der wird nicht hungern.“
In Jesus Christus begegnet mir die Menschenfreundlichkeit Gottes, die tragende Gewissheit für mein Leben ist. Das ist ganz offenkundig nicht an Bedingungen gebunden. Meine Fehler, meine Grenzen und Widersprüche, meine inneren Zweifel – all das spielt keine Rolle. Und das gilt für alle: Weder Hautfarbe noch Geschlecht, weder Bildung noch Frömmigkeit werden überprüft.
Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen. Was für eine Universalität der Menschenliebe Gottes!
Daraus folgt für mich eine Haltung der Gastfreundschaft. So hat es Jesus praktiziert. Und so ist es denen aufgegeben, die sich an ihm orientieren und
ihm nachfolgen. Gastfreundschaft, das hat unabweisbar eine politische Dimension, wenn wir an die ungezählten Menschen denken, die auf der Flucht sind. Hier bleibt unser reiches Land und hier bleiben wir als Christenmenschen weiter gefordert.
Aber Gastfreundschaft – das ist eine Frage auch an unseren Alltag. Leben wir solch einen Geist, der nicht abweist, wenn Menschen zu uns kommen? Ein schottischer Pastor erzählte: „Gestern Abend saß ich mit einem Freund am Tisch, als es an der Tür klingelte. Ein Mensch, der Hilfe brauchte, stand vor
der Tür. Wir baten ihn an unseren Tisch. Er blieb lange und aß mit gutem Appetit. Als er gegangen war, sagte mein Freund: ‚Heute war Jesus bei uns zu Gast. Aber ich hoffe, er kommt nicht allzu oft.‘“ Britischer Humor.
Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen. Wer das ernst nimmt, dem ist die Frage aufgegeben: Wie können Großzügigkeit und Gastfreundschaft, wie kann eine einladende Haltung konkret gelebt werden? Ganz persönlich. Aber auch in unseren Gemeinden, in unserem Alltag, in unseren Gottesdiensten.
Die meisten weisen sicher nur selten und ungern Menschen bewusst ab. Aber tun wir es vielleicht unbewusst? Ist unser Gemeindeleben auch für Menschen, die der Kirche ferner stehen, attraktiv? Sind unsere Gottesdienste einladend auch für die, die mit ihnen nicht vertraut sind, so dass sie sich nicht fremd fühlen müssen? Empfangen wir alle gastfreundlich, sprechen wir eine verständliche Sprache, geht es um die Lebensthemen der Menschen? Wie sieht es mit der Vernetzung vor Ort aus? Kooperieren wir mit anderen auch außerhalb unserer (wie man neudeutsch sagt) „Bubble“, die sich so – wie wir als Kirche – im Gemeinwesen für ein gelingendes Miteinander einsetzen?
Ich wünsche Ihnen, dass Sie Lust haben, mit anderen darüber ins Gespräch zu kommen, wie wir als Christenmenschen und als Gemeinden ausstrahlungsstark und einladend leben können. Und ich wünsche Ihnen persönlich, dass Sie immer wieder für sich selbst im Vertrauen auf Gott Kraft empfangen durch das „Brot des Lebens“, das Jesus Christus ist. Wir alle sind immer wieder an Gottes gedeckten Tisch eingeladen und sind bei ihm willkommen. Seine bedingungslose Menschenfreundlichkeit gebe Ihnen im neuen Jahr inneren Halt und Zuversicht in allem, was kommt.
Ein gesegnetes Jahr 2022!
Ihr
Dr. Hans Christian Brandy
Regionalbischof für den Sprengel Stade