Die Diakonie und ihr Arbeitsrecht

Die Diakonie und ihr Arbeitsrecht. Fragen an Diakoniedirektor und Oberlandeskirchenrat Dr. Christoph Künkel

Christoph Künkel, Direktor des Diakonischen Werkes der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers

Christoph Künkel, Direktor des Diakonischen Werkes der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers

Seit einiger Zeit häufen sich Fernsehberichte und Zeitungsartikel zum kirchlichen Arbeitsrecht, das auch in diakonischen Einrichtungen angewendet wird. Diakonie und die Landeskirchen haben in Deutschland das Recht, ihre Mitarbeitenden nach eigenem Arbeitsrecht einzustellen und zu bezahlen. Nun wird häufig kritisiert: Die Kirche diskriminiert, weil sie keine Nichtkirchenmitglieder anstellt. Warum halten die Kirchen an ihrem Weg fest? 

Christoph Künkel: Grundsätzlich gilt: Die Diakonie ist für alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft oder Religion da. Das ist der Auftrag Jesu. Davon müssen wir unterscheiden, wer diesen Auftrag ausführt. Da legen wir – wie jedes andere Unternehmen auch – Wert darauf, dass sich Mitarbeitende mit der Zielsetzung und der Kultur unserer Einrichtungen identifizieren. Wenn wir eine christliche Diakonie wollen, soll diese auch von Christen ins Werk gesetzt werden. Die Menschen erwarten von der Diakonie, dass sie der Kirche verpflichtet ist. Also muss sie auch kirchlich sein. Übrigens ist das kirchliche Arbeitsrecht kein Sonderrecht aus mittelalterlichen Zeiten. Das Grundgesetz garantiert im Artikel 140 auf der Basis der Religionsfreiheit die  kirchliche Selbstbestimmung. Das wurde kürzlich, am 20.11.2012, durch das Urteil des Bundesarbeitsgericht in Erfurt bestätigt.

Aber muss denn jede Reinigungskraft in einer diakonischen Einrichtung Mitglied der evangelischen Kirche sein? Diskriminieren Kirche und Diakonie damit nicht Andersgläubige oder Atheisten?

CK: Ich erhielt kürzlich eine Zuschrift, in der es hieß: „Ein Bademeister muss schwimmen können und Lust auf Wasser haben.“ Das leuchtet jedem ein. Genauso erwarten wir von Menschen, die bei uns arbeiten wollen, dass sie Voraussetzungen für die Arbeit in Kirche und Diakonie mitbringen: Neben den wichtigen fachlichen Qualifikationen auch die Bereitschaft, für die Inhalte des christlichen Glaubens einzustehen. Wer in der Kirche ist, zeigt damit für uns und andere, dass er um den besonderen christlichen Auftrag unserer Arbeit weiß und aktiv danach zu handeln versucht. Dieser Auftrag ist unteilbar. Gerade so diskriminieren wir niemanden. Das würden wir tun, wenn wir zwischen wichtigen und scheinbar unwichtigeren Stellen in unseren Einrichtungen unterscheiden würden. Alle gehören zur christlichen Dienstgemeinschaft. Mit dem kirchlichen Arbeitsrecht verstoßen wir also nicht gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz der EU.

Immer wieder wird Diakonie und Kirche vorgeworfen, dass sie zwar ihr eigenes Arbeitsrecht anwenden, sich gleichzeitig aber zum großen Teil ihre Arbeit vom Staat finanzieren lassen. Wie passt das zusammen?

CK: Unser Sozialstaat funktioniert nach dem sogenannten Subsidiaritätsprinzip. Das besagt, dass der Staat zwar dafür zu sorgen hat, dass soziale Hilfe geschieht, er diese jedoch nicht selbst betreibt, sondern Akteuren der Zivilgesellschaft überträgt. Diese werden dann vom Staat finanziert. Einer dieser Akteure ist die Kirche mit ihrer Diakonie. Die Diakonie übernimmt – wie z.B. auch das DRK, die AWO oder die Caritas – als Anbieterin sozialer Leistungen Aufgaben des Staates zur Sicherung eines menschenwürdigen Lebens seiner Bürger. Diese Leistungen finanziert der Staat, weil er sich dazu verpflichtet hat. Die staatlichen Gelder sind also keine „Geschenke an die Kirche“, sondern die Erstattung sozialer Leistungen, die der Staat nicht selbst erbringen möchte. Diese Finanzierung durch Staat, Kommunen und Krankenkassen decken nicht immer die Gesamtkosten ab. Fast alle Angebote in diakonischen Einrichtungen brauchen Eigenmittel aus Spenden oder Kirchensteuern. Außerdem finanziert die Kirche die spezifisch kirchlichen Angebote wie z.B. die Krankenhausseelsorge oder die religionspädagogische Arbeit in den Kindertagesstätten aus eigenen Mitteln, weil sie ihrer Arbeit ein spezielles, nämlich ein christliches Profil geben will.

 

 

 

Infokästen:

Kirchliches Arbeitsrecht

Die Arbeitsvertragsrichtlinien der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen (AVR-K) regeln Inhalt und Form der Arbeitsverträge für die diakonischen Einrichtungen in Niedersachsen. Das kirchliche Arbeitsrecht basiert auf dem Grundsatz, dass Arbeitergeber und Arbeitnehmer in Diakonie und Kirche eine gemeinsame Werteorientierung haben und deshalb eine Dienstgemeinschaft bilden. Kirchliche und diakonische Einrichtungen sind nach Kirchenrecht und Diakoniesatzung verpflichtet, die Arbeitsvertragsrichtlinien anzuwenden. Der weitaus größte Teil kirchlicher und diakonischer Unternehmen in Deutschland wendet die AVR an. Nirgends sonst haben sich im sozialen Bereich so viele Einrichtungen an ein gemeinsames Arbeitsrecht mit vergleichsweise hohen Lohnabschlüssen gebunden. Formen wie Leiharbeit sind die unerwünschten und dem mittlerweile harten Wettbewerb geschuldeten Ausnahmen.

 

Subsidiaritätsprinzip

In Deutschland garantiert das im Grundgesetz abgesicherte Prinzip des Sozialstaats ein menschenwürdiges selbstbestimmtes Leben und Vorsorge für Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit usw. Damit haben Hilfsbedürftige gegenüber dem Staat einen Rechtsanspruch auf Leistungen, die ihre Existenz sichern und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Der Staat erbringt diese Leistungen aufgrund des Subsidiaritätsgrundsatzes jedoch möglichst nicht selbst. Subsidiarität bedeutet:  Gemeinnützige Organisationen der Freien Wohlfahrtspflege bieten anstelle des Staates Sozialleistungen an. Sie entwickeln Hilfsangebote, qualifizieren Mitarbeitende und entwerfen neue Strategien. Aufgrund des Finanzierungsmonopols des Staates werden sie in einem Sozialmarkt aber zu Dienstleistern, die sich an der Nachfrage der Kostenträger orientieren.

 

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Das AGG besagt: Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner ethnischen Herkunft, seiner Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung oder seiner sexuellen Identität benachteiligt werden. Das umfasst auch den Schutz vor Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf: Das 2006 beschlossene Gesetz regelt das arbeitsrechtliche Benachteiligungsverbot und seine Ausnahmeregelungen sowie Maßnahmen und Pflichten des Arbeitgebers zum Schutz der Rechte der Beschäftigten.

zur Verfügung gestellt durch das Diakonische Werk der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers e.V.

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